Albrecht

Gralle


Grafik: Thees Carstens

 

 

Ich hab mich auf der Kanzel nie richtig wohl gefühlt. Einmal ist das Holz nicht gut lackiert, und ich hab mir neulich einen Splitter eingefangen, dann ist sie zu niedrig, und ich bekomme Rückenschmerzen und muss nach dem Gottesdienst ein heißes Bad nehmen, und drittens sitzen da Leute, die dazu verdammt sind, mir zuzuhören. Zwanzig Minuten lang. Und ich soll ihnen erzählen, dass sie Sünder sind und so. Ist doch Wahnsinn!

 

 

 

 

 

Ich bitte Sie, wer will das an einem Sonntag Morgen hören, während draußen die Vögel singen, Apfelbaumblüten wie Schnee auf den Rasen fallen und Kinder vor Vergnügen kreischen?

Klar, mancher würde das genießen, volle zwanzig Minuten ununterbrochen vor einem Publikum zu reden. Frau Barscheid, die Frau im Reisebüro zum Beispiel. Seitdem es Internetflüge gibt, ist es dort ziemlich leer.

Aber mir tun die Leute unter der Kanzel leid. Ehrlich. Also hab ich mich immer bemüht, sie bei Laune zu halten. Zwischendurch einen Witz erzählt, aber es gab immer ziemlich viel Leute, die rausgegangen sind und draußen geraucht haben.

Natürlich hab ich Theologie studiert und all das. Mein Vater hatte mir das vorgeschlagen. Sicherer Job, gutes Gehalt.

Und die alten Sprachen gelernt. Und ein bisschen Psychologie haben sie uns auch beigebracht für den Hausgebrauch. Dass wir zum Beispiel jemanden erstmal ausreden lassen müssen und nicht gleich mit Ratschlägen kommen sollen. Die Leute müssen selber die zündende Idee haben, sonst nützt es nichts. Ein Psychologe, der Rogers hieß, hat das bis zum Erbrechen durchgespielt.

Wie meine Frau immer sagt: Ratschläge sind auch Schläge.

Ein bisschen Rhetorik haben wir auch gelernt. Ja klar. Man muss mit einer interessanten Sache anfangen und dann ein paar knallige Thesen aus dem Bibeltext rausholen, sie in Frage stellen und sie dann wieder untermauern. Sich bei den Zuhörern jemanden aussuchen und so tun, als würden man nur für ihn oder sie predigen. Und beim Reden nicht immer nach oben rechts blicken, wo die Lampen hängen, sondern die Leute ansehen.

Ich hab mir wirklich Mühe gegeben. Ehrlich. Hab Stunden bei der Vorbereitung zugebracht, aber es sind immer welche während der Predigt rausgegangen, um zu rauchen.

Vielleicht waren sie einfach süchtig und wären bei einem guten Prediger auch rausgegangen. Keine Ahnung. Oder ich habe Raucher angezogen, obwohl ich selbst nicht rauche. Na ja, ab und zu mal schon.

Ich trat also in den neunzigern meine erste Stelle als Pfarrer auf Probe an. Ein kleines Kaff in der Nähe von Hamburg. Und da hab ich Adelheid kennengelernt.

Ich bin oder ich war zu der Zeit ziemlich schüchtern, was Frauen anbetraf. Wusste meistens nicht, was ich reden sollte, wenn ich mit einer Frau allein war und hab mich immer gefragt: Was sollen die Frauen an mir schon finden? Ich sehe langweilig aus, wirke ein bisschen linkisch und mir geht jede Angeberei ab. Und die Frauen wollen doch einen Typen, der was darstellt, oder nicht? Die wollen doch immer sagen: Mein Mann ist Vorsitzender vom Verein oder hat eine Firma aufgezogen und hat drüben in Frankreich eine Filiale laufen, oder er hat eine Goldmedaille im Speerwurf gewonnen oder so was.

Und wenn die Frauen schon einen Pfarrer wollen, dann wollen sie vielleicht auch mal zu ihrer besten Freundin sagen können: Mein Mann ist der beste Prediger in der Stadt oder er hat einen ambulanten Pflegedienst aufgezogen, ganz nebenbei, oder hat eine Kolumne in der Tageszeitung. Oder er ist der Vorsitzende vom Kindergarten.

In der Hinsicht hatte ich nichts zu bieten. Wie gesagt: es gingen immer welche raus zum Rauchen...

 

--------------------

 

So beginnt das erste Kapitel meiner neuen Erzählung: Die Leiden des jungen Pfarrers W., einem Mann, der konsequent erfolglos ist, aber gerade deswegen eine ungeahnte Wirkung erzielt. Witzig, skurril, geschmacklos und überraschend.

Jetzt gebunden, im Geschenkbuchformat € 9.90 beim Aussaat Verlag